Norbert Heinrich Holl: »Doppelfährte«
»Einen Menschen ohne Geheimnisse gibt es nicht. Wenn dir jemand sagt, er hat keine Geheimnisse, dann weißt du, dass er lügt. Oder führst du kein Doppelleben? Jeder Mensch legt manchmal eine Parallelspur, zieht eine doppelte Fährte hinter sich her, auf der ein Jäger ihm nachpirscht. Wie du weißt, kann aus einem Biedermann ein Brandstifter werden. Hast du nirgendwo eine Doppelfährte zurückgelassen?«
Franz Koller, ehemals Vertreter einer Kölner Weinhandlung und jetzt Rentner, steht eines Tages nach dem Mittagessen wortlos auf und verschwindet, ohne eine offensichtliche Spur zu hinterlassen. Es beginnt eine Tage dauernde Suchaktion. Kollers Sohn Thomas, von Beruf Übersetzer französischer Märchen in einem Kinderbuchverlag, setzt alle Hebel in Bewegung, doch der Vater bleibt verschwunden. Aber auch Thomas hat Probleme: Seine Ehefrau hat sich von ihm entfernt, zudem ist sein Job in Gefahr. Trotzdem bricht er, vagen Hinweisen folgend, auf seiner Suche nach dem Vater zu einer Reise auf, die zu einer Suche nach sich selbst wird.
»Doppelfährte« von Norbert Heinrich Holl ist ein Roman, der die Parallelitäten des Lebens deutlich macht. Auf der einen Seite der Vater, der auf ein erfülltes Leben zurückblicken kann, aber offensichtlich noch nicht mit Teilen seiner Vergangenheit abgeschlossen hat – auf der anderen Seite Thomas, der sich über Jahre von seinem Vater entfremdet hatte und ihm plötzlich näher ist, als es ihm recht sein könnte. Obwohl der Roman seinen Ausgang in Köln nimmt, spielt er hauptsächlich auf dem Hunsrück, wo der Vater nach dem Kriege einige Monate verbracht hatte. Das plötzliche Verschwinden des Vaters zeigt Thomas, wie wenig er eigentlich von der Vergangenheit des Familienoberhauptes weiß; wie ein Detektiv begleitet der Leser den Sohn auf dem Weg in die väterliche Vergangenheit. Schicht um Schicht eröffnen sich die Jahresringe eines früheren Lebens und stürzen Thomas in Zweifel. Wie soll er mit dem neuen Wissen umgehen?
Neben Thomas, aus dessen Perspektive die Geschichte der »Doppelfährte« erzählt wird, ist der stille Held dieses Romans der Hunsrück mit seinen kargen Höhen und tiefen Wäldern. Norbert Heinrich Holl hat Erinnerungen an den Hunsrück und andere Lebensphasen zu einem Roman verwoben, in dem Mensch und Natur – aber auch die Natur des Menschen – eine herausragende Rolle spielen. Die Präsenz des Landstrichs mit seinem besonderen Menschenschlag hat seine Spuren hinterlassen; unter der manchmal etwas spröde scheinenden Hülle des Hunsrückers steckt immer ein herzlicher Mensch.
Norbert Heinrich Holl, der nach einem ereignisreichen Diplomatenleben – u. a. war er ab 1996 für zwei Jahre Leiter einer UN-Sondermission in Afghanistan und führte intensive Verhandlungen mit den Taliban – in der Bretagne lebt, setzt in »Doppelfährte« dem Hunsrück durch die Verbindung biographischer Besonderheiten mit regionaler Einzigartigkeit ein besonderes Denkmal. Auch wenn, wie in Romanen üblich, alle Ortsnamen verändert sind, weiß der heimatverbundene Mensch, dass die alte Volkschule – das heutige Holzmuseum – eben nicht in »Weidenroth«, sondern in Weiperath steht.
Paperback
248 Seiten
ISBN-13: 9783752820638
Verlag: Books on Demand
€ 9,00
Foto: Matthias Gerschwitz unter Verwendung eines Pixabay-Fotos
Ich habe das Buch mit Haut und Haaren verschlungen, es schlägt den Leser von der ersten bis zur letzten Seite in seinen Bann! Beginnend mit dem rätselhaften Verschwinden Franz Kollers führt die meisterliche Erzählung, die ihren Ausgang in Köln nimmt, schnell weiter in die düstere deutsche Provinz. Thomas Koller zieht los, um seinen Vater zu suchen und reist ihm nach bis in den Hunsrück. Dabei entdeckt er Schritt für Schritt, dass er seinen eigenen Vater nie richtig gekannt hat. Welchem finsteren Geheimnis aus der Vergangenheit werden beide sich stellen müssen? Es ist an dir, es herauszufinden, lieber Leser… Zum Schluss prallen Vergangenheit und Gegenwart mit Wucht aufeinander – in jener spannenden Szene, in der Vater und Sohn gemeinsam auf einer Brücke stehen. Es folgt der Befreiungsschlag sowie eine völlig unerwartete Auflösung.
Bis es allerdings so weit ist, erwarten den Leser Spannung und eine zunehmende Verstrickung der Figuren. Die Rätselhaftigkeit der Erzählung erinnert gelegentlich an eine ungelöste mathematische Formel, die nach Auflösung drängt. Die Hauptfigur des Romans, Thomas, ist nicht umsonst Übersetzter von (französischen) Märchen! So begegnet Thomas unverhofft mitten in Köln einer jungen Asiatin, die ihn durchs nächtliche Severins-Viertel lotst wie eine moderne Antigone. Wiederholt taucht die Farbe Weiß auf, deren Entsetzlichkeit niemand anders als Melville in „Moby Dick“ ein ganzes Kapitel widmete. Trägt nicht auch eines der Schiffe, welches Thomas gelegentlich auf dem Rhein beobachtet haben will, den Namen „Ahab“? Schließlich ist die sich zuspitzende Vater-Sohn-Beziehung auf kriminalistische Weise in der Geschichte verarbeitet. Dem Autor ist eine mitreißende Geschichte mit Gänsehaut-Garantie gelungen, die den Brückenschlag von der Vergangenheit in die Gegenwart genial meistert.
Mit dem Roman “ Doppelfährte“ ist dem Autor Heinrich Norbert Holl ein besonderes erzählerisches Kunstwerk gelungen, spannend bis zur letzten Zeile, emotional,realistisch, aber auch mystisch
durch die Schilderung einer traumhaften Irrwanderung des Sohnes Thomas mit der japanischen Pianistin Momo bei Nacht durch Köln. Die gelungenen Naturschilderungen des Hunsrücks und
seiner speziellen Bewohnern fangen den zauberhaften Charme dieses Landstrichs gekonnt ein.Es ist ein Buch voller sprachlicher Kostbarkeiten, Lebensweisheiten ohne Besserwisserei, ein
Buch voller Emotionen und Lebenserfahrung, einfach genial, wie gesagt :unbedingt lesenswert.
Dr. Elisabeth Uekermann
Holl ist ein langjähriger Freund von mir, und ich habe von Anfang an seine Entwicklung als Schriftsteller begleitet. Er hat dabei viel Kritik, aber natürlich auch Beifall von mir erhalten. Sein jüngstes Buch „Doppelfährte“ stufe ich als „das beste bisher“ ein. In diesem Buch geht es eigentlich ziemlich schlicht und einfach zu. Ein Vater verschwindet eines Tages spurlos, und der Sohn macht sich auf, ihn zu finden, eigentlich mehr der Mutter zuliebe als für sich selbst. Der Ich-Erzähler ist zu Besuch bei seinen Eltern in Köln und mit Hilfe eines Freundes des Vaters, im gleichen Hause wohnend, beginnt sich eine Spur abzuzeichnen, die auf den Hunsrück führt. Dort war der Vater als Junge eine Weile einquartiert nach dem Krieg. Er fand Freunde dort, und auch ein gleichaltriges Mädchen hatte es ihm angetan. Des Mädchens wegen suchte er später immer wieder auf Dienstreisen das Dorf auf und es entwickelte sich ein zweites Leben, von dem niemand eine Ahnung hatte. Der Sohn entdeckt Parallelen zu seinem eigenen Leben, in dem es auch ein Doppelleben gibt, mehr im Kopf noch als in der Wirklichkeit. Was macht dieses Buch nun so besonders? Es ist weniger der Plot als die wunderschöne Sprache, die sich mit viel Einfühlung, ja Zärtlichkeit des Geschehens annimmt. Der Leser ist nicht zuletzt deshalb gebannt und bleibt fasziniert und gefesselt.
Der Anfang des Romans kam mir zunächst etwas sperrig vor, doch als ich den richtigen Handlungsfaden erreicht hatte, hat er mich voller Spannung durch sämtliche Kapitel gezogen. Das Buch hat mir als Lektüre sehr gefallen, auch weil der Autor, mit dem ich seit vielen Jahren befreundet bin, den Spannungsbogen bis zum Schluss aufrechthalten konnte. Also es ist ein empfehlenswerter Roman.