Rainer Mauelshagen: »Lieb Vaterland – Gottfried Krahwinkels Erbe«
Heute möchte ich ein Buch vorstellen und empfehlen, das – obwohl es in der Vergangenheit spielt – sehr aktuell ist. Es ist die Geschichte des Gottfried Krahwinkel, der kurz vor dem Ende des 1. Weltkrieges seinen Vater verliert und fortan vom Leser durch den Lauf der Zeit begleitet wird. Es ist die Zeit der Weimarer Republik, des III. Reichs und des 2. Weltkriegs. Es ist die Zeit des schleichenden Endes der Demokratie und des Einzugs der Diktatur, die Zeit der Aushöhlung der Menschlichkeit und des Verlustes des humanistischen Weltbilds durch die ideologische Selbsterhöhung und dem Irrsinn des Kriegs. Es ist eine Allegorie auf pseudopolitische Umtriebe des frühen 21. Jahrhunderts … und als solche als wichtiger Teil des deutschen Geschichtswissens unverzichtbar. Ich hatte die große Freude, das Manuskript vorab lesen zu können, weil ich das Cover gestalten sollte … und habe mich spontan entschlossen, ein Vorwort beizusteuern. Dankenswerterweise hat Rainer Mauelshagen, der Autor, mein Angebot angenommen. Mit einigen Auszügen aus dem Vorwort lässt sich die Idee der Geschichte und die Absicht des Autors gut beschreiben und bei dem Einen oder Anderen unter Euch vielleicht das Interesse am Buch wecken:
»[…] Sich der deutschen Geschichte zu stellen bedeutet, sie in ihrer Gesamtheit zu akzeptieren. Sie nicht zu beschönigen, sie aber auch nicht abzuwerten. Deutschland lebt nach wie vor im Zwiespalt wie auch im geschichtlichen Mit- und Nebeneinander (nicht nur) von Goethe und Goebbels, Kirche und Kaiser, Marktwirtschaft und Mauer, Reformation und Restitution, Wohlstand und Wohlfahrt. In der damit verbundenen Erfahrung liegt eine Chance, aus der Geschichte zu lernen; leider wird sie viel zu selten ergriffen. Stattdessen werden Anfang des 21. Jahrhunderts Worte wie »Schuldkult« oder »Erinnerungskultur« zu Kampfbegriffen in der Deutungshoheit der deutschen Geschichte hochstilisiert. Wer auch nur auf den kleinsten Teil der Geschichte verzichtet, um ein ihm genehmes Bild Deutschlands zu zeichnen, macht es sich zu einfach; wer – in Kenntnis der Zeitläufte – Ereignisse, Entscheidungen oder Entwicklungen der Vergangenheit mit dem heutigen Wissen kommentiert, einordnet oder betrachtet, wer die Vergangenheit vom heutigen Standpunkt aus bewertet, handelt unredlich. Wer seine Geschichte, und damit sich selbst verstehen will, muss sich auf die Reise durch das Leben seiner Vorfahren machen.
»Lieb Vaterland« von Rainer Mauelshagen ist das Tagebuch einer solchen Reise, die mit Kindheitserfahrungen im Ersten Weltkrieg beginnt, die Fragilität und Friktionen der Weimarer Republik beschreibt, den Aufstieg und Fall der NS-Zeit mit ihren Millionen ungenannten Opfern nicht ausspart und in der Bundesrepublik der 60er/70er Jahre noch lange nicht endet. Die Handlung beschränkt sich nicht auf Eckdaten der Geschichtsbücher, sondern ist eine fiktive Familiengeschichte, wie sie in den letzten einhundert Jahren millionenfach real stattgefunden hat – und wie sie ebenso millionenfach in diversen Schubladen der Vergessenheit abgelegt wurde. Gottfried Krahwinkels Leben, das hier beschrieben wird, steht archetypisch für den unumkehrbaren und ebenso unwiderlegbaren Weg der Deutschen aus der Vergangenheit in die Gegenwart … und jeder Versuch, auch nur die kleinste Kurve zu begradigen oder die kleinste Unebenheit zu glätten, käme einem Betrug an der eigenen wie auch der gesamten deutschen Geschichte gleich.
[…]
»Lieb Vaterland« sticht insbesondere dadurch hervor, dass der Autor jedem Kapitel ein Zitat aus »Mein Kampf« wie auch eines aus der Bibel voranstellt, die sich zu einer Allegorie des folgenden Abschnitts verweben. Aber schon wie Adam hätte wissen können, ja wissen müssen, dass der Verzehr des Apfels vom Baum der Erkenntnis nicht ohne Folgen bleiben wird, hat sich auch der Großteil des deutschen Volkes 1933 den Versprechungen zur Heilung der Wunden des verlorenen Krieges, der Inflation und der großen Wirtschaftskrise ergeben, ohne sich der Folgen zu vergegenwärtigen, die in der politisch-ideologischen Kampfschrift Hitlers nachzulesen gewesen wären. Der Treibstoff der Zeit hieß Bequemlichkeit, Mitläufertum und Bedacht auf den eigenen Vorteil. Der Erkenntnisgewinn kam erst später. Zu spät. Und auch nicht umfassend, sonst würden sich heute nicht wieder Menschen in unserem Land auf die Ideologie einer vergangen gehofften Zeit berufen. Speziell ihnen sei die Lektüre von »Lieb Vaterland« empfohlen. Sie entfernt nicht nur nachhaltig den Zuckerguss des »Früher war alles besser«, sondern beschreibt schonungslos, was glühender Patriotismus und überbordende Vaterlandsliebe anzurichten in der Lage sind. […]«
Eine klare Lesempfehlung: Wichtiges Thema, das mitreißend und ohne moralinsauren Zeigefinger aufgeschrieben wurde. Obwohl es sich um einen Roman handelt, werden sich viele Familiengeschichten der Leser darin wiederfinden. »Lieb Vaterland« ist ein Bekenntnis zum Miteinander, ein Bekenntnis zur Demokratie und Freiheit … und es ist die eindringliche Warnung, dass unsere Vergangenheit nicht unsere Zukunft werden darf.
Rainer Mauelshagen:
Lieb Vaterland … Gottfried Krahwinkels Erbe
Paperback, 520 Seiten
ISBN-13: 978-3-7528-3622-6
Verlag: Books on Demand
Erscheinungsdatum: 26.06.2018
Preis: € 13,99
Foto: Matthias Gerschwitz unter Verwendung eines Pixabay-Fotos